Trust is the most important thing

Trust is the most important thing

28.07.2020

Wenn Bailey und ich bei einer Stunt-Show auf der Wippe balancieren oder im vollen Galopp auf den fahrenden Hänger düsen, wird mir jedes Mal eine Sache ganz bewusst: Vertrauen ist für mich die Königsdisziplin unter den Gefühlen.

Denn Vertrauen heißt: Auf den Partner zu vertrauen und bauen zu können, denn das ermöglicht uns los lassen zu können, nicht kontrollieren zu müssen und somit frei von Angst zu sein, um gemeinsam als Team über sich hinaus wachsen zu können. 

Wie schafft man es, das Vertrauen seines Pferds zu gewinnen und zu einem richtig tollen Team zusammenzuwachsen?

Ich bin ein großer Fan des Gelassenheitstrainings. 

Beim Gelassenheitstraining konfrontiere ich Pferde mit unbekannten Dingen und Geräuschen. Jedes Pferd reagiert dabei anders. Als Trainer muss ich darauf richtig eingehen. Für ein solches Training gibt es daher bei mir kein Schema F. Jedes Pferd hat seinen eigenen Charakter und sein eigenes Lernverhalten. Darauf muss ich mich einstellen und es richtig abholen. Ich orientiere mich dabei an der Charaktereinteilung aus der Traditionellen Chinesischen Medizin. 

Trotz des besten Trainingswegs ist Gelassenheitstraining nicht ganz stress- und angstfrei fürs Pferd. Es geht dabei ja darum, die Stresstoleranz-Grenze des Pferds auszubauen. Pferde brauchen – wie wir Menschen auch – Herausforderungen, um daran wachsen zu können. Ich arbeite daher am Angstpunkt der Pferde, gebe ihnen aber zwischendurch immer wieder Pausen, um das Gelernte zu verarbeiten. So werden letztendlich auch die Stressphasen immer kürzer und die Pferde werden cooler.

Durch das Gelassenheitstraining erreicht man mehrere positive Effekte:

Das Pferd wird sicherer

Scheut ein Pferd und geht durch, kann das sehr gefährlich werden – für Pferd und Reiter. Eine Sicherheit, dass nichts passiert, kann man nicht kaufen, indem man sich mit Helm, Sicherheitsweste und Gamaschen eindeckt. Man muss sich diese Sicherheit erarbeiten, denn ein gelassenes Pferd ist die beste Sturzversicherung des Reiters!

Oder stellt Euch sich vor, das Pferd geht im Gelände durch und galoppiert auf eine vielbefahrene Straße. In diesem Moment stellt das Pferd auch eine große Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer dar. Ich finde, es ist die Pflicht eines jeden Reiters gegenüber allen anderen Menschen, dass man weiß, wie sein Pferd in kritischen Situationen reagiert, um sein Verhalten in Schreckmomenten besser einschätzen zu können, und dass wir das Pferd an potentielle Schreckmomente gewöhnen.

Nur ein entspanntes Pferd kann Neues lernen

Pferde lernen umso besser, je gelassener sie sind. Das hat mit ihrer Herkunft als Fluchttier zu tun. Anspannung dient vor allem dazu, möglichst schnell fluchtbereit zu sein. Wenn der Wolf im Gebüsch lauert, entscheiden Sekundenbruchteile über Leben und Tod. Also sind alle Muskeln im Pferd aktiviert, um so schnell wie möglich reagieren zu können. Dafür verwendet das Pferd die gesamte gerade verfügbare Energie. Für das Lernen neuer Bewegungen oder Kunststücke bleibt nichts mehr übrig. In diesem Zustand ist Training nutzlos.

Und dann haben wir noch einen dritten, ganz wichtigen Aspekt:

Losgelassenheit ist ein zentraler Punkt der Ausbildung

Da haben wir zum einen das Pferd, dass in einer wichtigen Übung patzt – wie vorhin beschrieben oder noch eine andere Situation: Stell Dir vor, auf einem Turnier hast Du gewonnen. Herzlichen Glückwunsch! Bei der Siegerehrung tanzt Dein Pferd jedoch aus der Reihe und lässt sich noch nicht mal die goldene Schleife an der Trense befestigen. Wie peinlich!

Solche Situationen zeigen, was passiert, wenn man den zweiten Baustein der Skala der Ausbildung der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) übergeht: die Losgelassenheit des Pferds bleibt auf der Strecke. 

Laut Richtlinien sollte dieses Basiselement zu jedem Moment und Stand der Ausbildung vorhanden sein. Damit gemeint ist zum einen die körperliche Losgelassenheit. Die hat nichts mit schlaffen Pferden zu tun, sondern viel mehr, dass die Tiere physisch so locker sind, dass sie raumgreifende Gänge entwickeln, der Rücken schwingt und die Hinterhand aktiv unter den Schwerpunkt fußen kann.

Die andere Komponente ist die Gelassenheit vom Kopf her. Die Pferde sollten eine gewisse Nervenstärke an den Tag legen, um sich nicht aus der Ruhe und Konzentration bringen zu lassen.

Kurzum: Nur ein Pferd, welches psychisch und physisch losgelassen ist, kann zu seiner vollen Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit kommen. Das ist nicht nur beim Galopp in den Anhänger wichtig, sondern auch für alle anderen Lebenslagen mit dem Pferd.