Aus Liebe Nein
Es gab Zeiten, da war Pferdetraining fast nur von Druck und Gewalt geprägt. Reiter bestraften unerwünschtes Verhalten. Heute wissen wir, dass Gewalt als Erziehungs- und Trainingsweg keinen Respekt, sondern Angst erzeugt. So kann keine gute Partnerschaft mit dem Menschen entstehen.
Deshalb kehrt sich aktuell der Trend in ein anderes Extrem um. Wir trainieren sanfter, arbeiten mit positiver Bestärkung, reiten ohne Sattel und sagen am liebsten „Ja“ zu unserem Pferd, weil alle guten Beziehungen von einem „Ja“ geprägt sind. Wir vergessen dabei, dass Pferde – wie Kinder – auch einen Rahmen brauchen. Überlässt man ihnen unbewusst die Verantwortung, übernehmen sie die Führung und nehmen den Menschen nicht mehr ernst. Das schaukelt sich immer mehr hoch, und am Ende stecken beide in bitteren Machtkämpfen fest.
In vielen Pferd-Reiter-Partnerschaften liegt das nicht einmal an mangelnder Konsequenz, sondern daran, dass Pferdefreunde nicht „Nein“ sagen können, weil sie ihr Pferd so gern haben. Ein „Nein“ ist jedoch notwendig für ein gutes Zusammenleben. „Nein“ zu sagen bedeutet nicht, dass wir das Pferd herumkommandieren oder uns Untertan machen. Es bedeutet vielmehr, einen Rahmen zu setzen, ohne dabei grob oder emotional zu werden. Pferde schließen sich in der Natur einer Herde an. Dort gibt es Regeln, die sie einhalten müssen. Im Gegenzug bietet die Herde Schutz.
Hier ein Beispiel, wie ich es häufig auf Kursen erlebe: Alle stehen zur Besprechung samt Pferden im Kreis zusammen, ein Pferd fängt an zu scharren und rumzuhibbeln. Typ 1 der Pferdebesitzer fängt an, sich mit dem Pferd zu beschäftigen, es zu bespaßen, die eigenen Bedürfnisse (dem Gespräch zu folgen) hinten anzustellen und damit unbewusst das Pferd für sein Verhalten zu bestätigen: Das Pferd möchte Aufmerksamkeit und bekommt sie. Typ 2: Der Pferdebesitzer schickt sein Pferd energisch zwei Schritte rückwärts, entspannt sich wieder und widmet sich weiter dem Gespräch. Mir geht es nicht darum, ob Typ 1 oder Typ 2 das Richtige tut – vielmehr geht es mir darum, dass jeder sich darüber bewusst ist, wie er es haben will. Akzeptiert Typ 1 das Nörgeln seines Pferds und kommt damit zurecht ist das in Ordnung. Aber wenn es Typ 1 stört, sollte er auch ganz klar „Nein“ sagen – und zwar von innen heraus.
Ein wichtiger Aspekt beim Nein-Sagen ist, dass das „Nein“ von innen kommen, also authentisch sein muss. Dafür braucht man eine klare Körpersprache, denn Pferde kommunizieren nicht über die Stimme. Viele Reiter versuchen, ihre Pferde durch bestimmte Trainingstechniken zu führen. Doch oft überzeugen sie so nicht – weil sie eigentlich nicht Nein-Sagen wollen.
Ein weiteres Beispiel ist für mich ein ungestümes Verhalten beim Führen zur Weide. Viele Pferde ziehen ihre Reiter vom Stall bis auf die Koppel oder reißen sich sogar vorher los. Wenn man sich damit arrangiert, dass man von seinem Pferd zur Weide geführt wird und nicht umgekehrt, ist das in Ordnung. Man muss sich aber über die Konsequenzen klar sein und auch darüber, dass es gefährlich werden könnte. Stört es mich, dass das Pferd ständig zieht, muss ich daran arbeiten. Ein solches Verhalten hat mit fehlender Führung zu tun, das Pferd übernimmt selbst die Verantwortung.
Ich begegne fast jeden Tag Pferdebesitzern, die frustriert darüber sind, dass ihre Pferde nicht zuhören, nicht kooperieren oder nicht verstehen, was ihre Besitzer von ihnen wollen. „Frau Gutsche, wir haben es immer wieder im Guten probiert“, höre ich oft. In Wahrheit gehen sie von Trainer zu Trainer und versuchen eine Methode nachzumachen. Fürs Pferd hat der Besitzer geschauspielert, weil er dabei nicht authentisch war. Von wenigen Ausnahmen abgesehen lösen sich viele Problemen, sobald der Mensch an sich selbst arbeitet und in der Lage ist, die richtige Körpersprache einzusetzen. Oft senden wir unbewusst Signale an unsere Pferde, die wir gar nicht wollen. Konflikte wird es mit dem Pferd immer geben, die gibt es in der besten Beziehung – mit Kindern, mit Eltern und mit dem Partner. Deswegen liebt man denjenigen nicht weniger. Der Weg, Konflikte zu lösen, kann aber sehr bereichernd sein.
Vertrauen und Respekt gegenüber dem Pferdebesitzer müssen ausgewogen sein. Fehlt Vertrauen, hat das Pferd Angst; fehlt Respekt, akzeptiert Sie Ihr Pferd nicht als Herdenführer. Um eine gute Führung zu übernehmen, gehört es auch dazu „Nein“ zu sagen, ohne dabei unfair oder grob zu werden. Je mehr Respekt und Vertrauen in der Mensch-Pferd-Beziehung wachsen und je klarer der Mensch ist, desto kooperativer, vertrauensvoller wird das Pferd und desto weniger Konflikte, Stress, Frustrationen und Ängste entstehen. Je glaubwürdiger der Pferdebesitzer rüberkommt, desto mehr Respekt hat ein Pferd. Die gegenseitige Nähe zum Pferd wird schwinden, wenn Sie nie „Nein“ sagen. Der Umgang mit dem Pferd stresst oder ängstigt Sie sogar. Manchmal kommt es dadurch zu Übersprungshandlungen vom Pferd, die gefährlich sein können.
Ich habe lange darüber nachgedacht, warum wir stets das erfüllen möchten, auf was unsere Pferde Lust haben. Vermutlich, weil wir einen Teil ihrer Bedürfnisse zwingend erfüllen müssen. Dazu gehört alles, was zur artgerechten Haltung gehört: genügend Auslauf, frische Luft, Sozialkontakte, sauberes Wasser, eine gemistete Box und genügend Heu. Alles, was darüber hinaus geht, entscheidet jedoch der Pferdebesitzer und legt dazu seine eigenen Werte fest. Er überlegt, was ihm wichtig ist. Die Grenze dafür abzustecken, ist nicht leicht: Futter ist zum Beispiel ein Grundbedürfnis, Leckerli braucht jedoch kein Pferd, „weil es so lieb guckt“ und dafür vielleicht sogar im Betteln bestätigt wurde. Nicht falsch verstehen: Leckerli sind prima als gezieltes Futterlob. Aber dann als Lohn für eine Leistung, nicht einfach so.
Was ich damit sagen will: Sobald wir mit dem Pferd arbeiten, können wir ihm nicht alle Wünsche jederzeit erfüllen. Deswegen ist Nein-Sagen so wichtig. Wann Pferdebesitzer „Nein“ sagen sollen und dürfen, dazu gibt es keine festen Regeln. Jeder sollte sich Gedanken machen und selbst festlegen, wann er „Nein“ sagen will. Weiß der Mensch, was er nicht möchte, muss er das konsequent durchsetzen. Wenn Pferde mit unerwünschtem Verhalten immer wieder Erfolg haben (etwa Leckerlis erbetteln), merken sie, dass sie Menschen manipulieren können und nehmen sie nicht mehr ernst.
Ohne ein echtes „Nein“ kann es kein echtes „Ja“ geben. Warum? Weil uns sonst eigentlich nur drei Optionen bleiben: ein lauwarmes „Ja“, eine Lüge oder Resignation. Das persönliche „Nein“ ist das beste „Nein“, weil es das Selbstwertgefühl stärkt und beim Pferd den größten Eindruck hinterlässt. Es entspringt unseren Wertevorstellungen, Erfahrungen, Gefühlen und ist durch unsere persönliche Erfahrung motiviert.
Falls Ihr Pferd dieses „Nein“ nicht akzeptiert, finden Sie heraus, woran das liegt. Reflektieren Sie Ihr eigenes Verhalten. Vielleicht ist Ihnen schlichtweg das Vertrauen des Pferds verloren gegangen, an dem Sie zuerst arbeiten müssen. Pferdetraining hat viel damit zu tun, an sich selbst zu arbeiten und immer wieder sein eigenes Verhalten und das des Pferds zu reflektieren – am besten zusammen mit einem erfahrenen Trainer.